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Herzenstage, Hetentage?

14. Februar 2016

Im vergangenen Juni habe ich mich gefragt, warum die Herzenstage, ein digitales Literaturfestival rund ums Thema Liebe, so heterozentriert sind. Das fiel mir besonders aufgrund fabelhafter politischer Ereignisse jenseits des großen Teichs auf, was ich auch auf twitter schrieb:

Witzig: Meine englische Timeline feiert #marriageequality, die deutsche ist dank der #Herzenstage heterozentrierter als je zuvor …

— Carolin (Bücher)Kram (@buecherkram) 27. Juni 2015

Die Kollegen von Ullstein „trösteten“ mich dann:

Das ändert sich heute noch, @buecherkram! #Herzenstage https://t.co/Sxd5t1jDIz

— Forever by Ullstein (@foreverebooks) 28. Juni 2015

Ich war gespannt wie ein Flitzebogen und bereit, die Herzenstage standesgemäß mit Regenbogenglitter und Melissa-Etheridge-Hymnen zu begehen.

Und die Herzenstage? Die öffnen Tor drei. Und dahinter? Für mich leider nur ein riesiger Zonk:

Aber was um alles in der Welt ist so heiß an schwulen Männern?

Einfache Mathematik: Ein megaheißer Held = super. Zwei megaheiße Helden = doppelt super!

Homosexuelle Liebe fürs heterosexuelle Herz?

Versteht mich nicht falsch – ich finde es nicht schlimm, zwei Jungs miteinander zu verbandeln. (Oder einen Vampir und einen Dämon.) Aber wenn ein Buch ganz bewusst und explizit für ein heterosexuelles Publikum geschrieben wird und dabei inhaltlich nicht auf den Realismus der homosexuellen Storyline geachtet wird, dann verdient es m. E. nicht wirklich das Schlagwort „gay romance“. Man käme ja auch nicht auf die Idee, einen Pornofilm, in dem sich zwei Damen aneinander gütlich tun und dabei immer wieder auffordernd in die Kamera lechzen, ernsthaft als Lesbenfilm zu bezeichnen.

Susann Julieva meint im oben verlinkten Beitrag: „Vermutlich ist es derselbe Reiz, der Männer auf lesbische Erotik abfahren lässt. Und das findet (seltsamerweise) ja auch keiner seltsam.“

Ich kenne keine Studie zum Thema, würde aber wetten wollen, dass heterosexuelle Männer „lesbische Erotik“ nur so lange wirklich anregend finden, wie a) die Illusion eines Sinneswandels der Protagonistinnen aufrecht erhalten werden kann („die brauchen nur einen richtigen Mann“) und b) die Damen heteronormativen Ansprüchen an Aussehen und Verhalten genügen. Das ist dann aber keine lesbische Erotik, sondern Erotik zwischen zwei Frauen, die den heterosexuellen Mann bedienen soll.

Überspitzt formuliert: Wenn sich Megan Fox und Pamela Anderson vergnügen und immer die Option offen ist, dass gleich ein gutgebauter Handwerker, der Cola-Light-Mann oder eben er selbst klingelt, wird es vom heterosexuellen Mann als sexy empfunden. Wenn dagegen Skin von Skunk Anansie und Katherine Moennig den Hemsworth-Brüdern eine Abfuhr erteilen, drei Katzen adoptieren und nach einem bioveganen Dinner erst knuddelige Versuchstiere aus einem wissenschaftlichen Labor retten und dann stundenlang zärtlich miteinander rummachen, funktioniert das sicherlich für den Großteil der Männerwelt nicht so gut. (Ich dagegen würde diesen Film sogar crowdfunden. Halleluja.)

Ich möchte übrigens mich gar nicht über die Buchbranche oder das Genre Slash-für-heterosexuelle-Damen ereifern. Aber wir schreiben das Jahr 2016 – da darf man doch ruhig auch mal nichtheterosexuelle Protagonisten für nichtheterosexuelle Leser auf die Welt loslassen. Ich würde sogar wetten, dass die Leser das den Autoren und Verlagen nicht übel nehmen, wenn denn die Geschichte gut ist. Denn, und da stimme ich mit Frau Julieva überein, „Was gibt es Schöneres als ganz dolles Herzklopfen und zwei Menschen, die sich trotz aller Widerstände endlich finden?“ (Tipp: Das mit der Geschichte ist übrigens ein deutliches Zeichen, ob man gerade im Begriff ist, eine gay romance oder einen Buchstabenporno zu kaufen: Wenn sich in Rezensionen darüber mokiert wird, dass das Buch im Prinzip inhaltsleer ist, dann kann man sich relativ sicher sein, dass man es mit letzterem zu tun hat. ;-) )

Zukunftsmusik für die Herzenstage?

Für die nächsten Jahre wünsche ich mir mehr Diversität und die Abkehr von binären Geschlechtsidentitäten. Denn nur, wenn die Herzenstage zum recht schwarz-weißen H für hetero auch den bunten Buchstabenhaufen LGBTQ komplett dazunehmen, sind sie als Feier von Liebe und Leidenschaft dem letzten Jahrhundert entwachsen.

Ich würde mich freuen, wenn dem so wäre – ein Blick in die Literaturliste lässt vermuten, dass es neben klassischen schwule-Jungs-für-Heteromädchen-Titeln diesmal zwar ein oder zwei – aber eben nicht viel mehr – andere Romane in die diesjährigen SUBs geschafft haben. Das ist schon viel besser als noch im letzten Jahr, auch wenn ich natürlich alles andere als glücklich darüber bin, dass die Kategorie „gay romance“ beide oben beschriebenen Genres umfasst. Es zeigt dennoch hoffentlich einen Wandel an. Ich bin gespannt auf die Entwicklung der Herzenstage. Dass Bücher über Liebe wieder aus der Schmuddel- und Groschenromanecke geholt werden ist nämlich an sich eine tolle und unterstützenswerte Sache!

Wie ist das bei euch? Stört ihr euch als lesbische oder schwule Leser daran, wenn Romane als gay romance verkauft werden, die eher für Heterosexuelle geschrieben wurden? Seid ihr als heterosexuelle Leser eher an realistischen Beschreibungen von homosexuellen Beziehungen oder an heißen Szenen interessiert? Oder ist euch das alles völlig egal, so lange Vampire vorkommen?

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